Weihnachtsbrief 2009 Zurück zur vorhergehenden Seite Zur Startseite (Übersicht)

Liebe Freunde,

wir feierten in diesem Jahr das vierzigjährige Bestehen unseres Nothilfe-Vereins. Aber es war uns nicht nach Feiern zu Mute, nachdem Birgitta Ende April von uns gegangen war. So ist auch der nachstehende Jahresbericht von Margret Wölfel aus Anlass der Jahresversammlung sehr abweichend von denen der vergangenen Jahre, aber unsere Mitglieder und Helfer sollen informiert sein über die Entwicklung, das ist uns ein Anliegen. Sie trug (hier nicht immer wörtlich wiedergegeben) folgendes vor:

„Der Abschied von Birgitta kam unerwartet. Obgleich sie bereits 96 Jahre alt war und der geistige Abbau in letzter Zeit mehr und mehr fortschritt, so war sie doch immer da, saß still in ihrem Sessel im Wohnzimmer, genoss die herrliche Aussicht über das Murnauer Moos auf das Wettersteingebirge und freute sich sehr, wenn jemand zu ihr kam und sich zu ihr setzte. Sie konnte bis zum letzten Tage in ihrem Zuhause sein, da eine Frau im Hause wohnte, die sie in den letzten vier Jahren pflegte und wenn diese nach einigen Wochen anstrengender Pflegetätigkeit eine Woche Ruhe brauchte, kam jemand von der Familie zur Betreuung.

In den letzten Jahren konnte sie sich nicht mehr um Gefangene und andere Menschen in Not kümmern. Sie war aber auch in dieser Phase ihres Lebens immer besorgt um die Menschen, die sich mit der Bitte um eine Hilfe an sie wandten und wollte auch immer noch helfen, bis zum Schluss. Sie war ein sehr außergewöhnlicher Mensch, voller Energie bis ins hohe Alter und eigentlich hat sie das Abschiednehmen von der Gefangenenarbeit auch gar nicht geschafft, sie lebte bis zum Schluss in ihren Gedanken dieses Leben weiter, das sie über viele Jahrzehnte geprägt hatte.

Ich konnte mich von ihr am Totenbett verabschieden und sie ist ganz friedlich aus dieser Welt gegangen, das sah man.

Einen profanen Arbeitsbericht aufzustellen, fiel mir nun in diesem Jahr nicht leicht, da zuerst der Tod von Birgitta und später einige einschneidende Veränderungen zu verkraften waren. Zuerst jedoch kam zur Weihnachtszeit noch unsere gewohnte Weihnachtspaket-Aktion mit weit mehr als 100 Weihnachtspäckchen, von denen unsere lieben Freunde von der Kirchengemeinde wie in den letzten Jahren wieder 10 für uns packten. Das ist immer sehr erfreulich und es kommt wie immer ein großes Dankeschön für treue Hilfe! Anna, die junge Polin, die vor zwei Jahren vom Arbeitsamt zur Hilfe bei uns vermittelt worden war, half nun völlig ehrenamtlich bei mir zu Hause beim Packen und auch das war ein echter Grund zur Freude. Wie ich es immer betone, sind unsere Nahrungsmittelpäckchen recht bescheiden gehalten mit einem Wert des Inhalts in Höhe von 25 EUR. Die Leute, die ihre Pakete von zu Hause oder von Freunden bekommen, sind erheblich besser dran, da kommt leicht ein Wert von 60 bis 70 EUR zusammen. Und jeder Gefangene darf nur eins zu Weihnachten, eins zu Ostern und eins irgendwann im Jahr einmal bekommen, dies also entweder von Familie oder Freunden oder von gemeinnützigen Hilfsorganisationen.

Nach dieser äußerst anstrengenden Paket-Aktion war dann wie immer zuerst einmal viel Post aufzuarbeiten und dann ist Ostern auch nicht mehr so weit und die Osterpaket-Aktion folgt. Auch hier das gleiche Muster: Wert des Inhalts unserer Pakete 25 EUR, auch Ostern war die Zahl von 100 überschritten. Unsere Freunde halfen wieder ganz lieb.

Marita, die viele Jahre einmal wöchentlich von Peißenberg nach Murnau kam zum Zusammenstellen von Wäschepaketen an Gefangene und auch ab und zu an Entlassene und Familien von Gefangenen, wurde in diesem Jahr verstärkt für das Betreuen ihres kleinen Enkels gebraucht, da ihre Tochter wieder ins Arbeitsleben zurückkehrte und der Kleine das Kindergartenalter noch nicht erreicht hatte. Für sie sprang dann Conny ein, die Pflegerin von Birgitta, und wir konnten noch viele Kleiderpakete verschicken.

Nach Ostern starb Birgitta.

Ihr Haus wurde verkauft, da keines ihrer Kinder hierher ziehen könnte, und der große Nothilferaum im Keller musste geräumt werden. Der Vorstand hat dann mehrheitlich beschlossen, kein neues Kleiderlager anzumieten und den Wäschepaketversand in der bisherigen Form nicht mehr weiterzuführen. Selbst hätte ich es zwar auch in Zukunft gerne fortgeführt, aber ich habe selbstverständlich den Vorstandsbeschluss akzeptiert. Nun ist es so beschlossen worden, dass Wäschepakete in Gefängnisse nur noch an Taschengeldempfänger gehen, die sich gar nichts leisten können von ihren 30 EUR Taschengeld im Monat und einige wichtige Sachen für diese Leute werden ab jetzt günstig gekauft.

Da wir jedoch einen ausnehmend großen Vorrat hatten an gut erhaltener Kleidung und diese auf keinen Fall weggeworfen werden sollte, war guter Rat teuer: Wohin damit? Auf Rat einer guten Bekannten hin nahm ich Kontakt mit dem Familienverband auf, der eine Kleiderzentrale in Murnau betreibt, und siehe da: Man freute sich, wenn man die Sachen bekommen würde und so ging nach und nach säckeweise Kleidung, Bettwäsche, Schuhe, Gardinen usw. an den Familienverband. Das war also gut gelöst, aber was wir nicht bedacht hatten, war, dass im Keller auch noch Ordner um Ordner lagerte mit Korrespondenz von Birgitta aus den vielen Jahren ihrer Nothilfetätigkeit mit Mitgliedern, Helfern sowie Männer und Frauen, die nicht straffällig geworden, aber in Not geraten waren und sich an sie gewandt hatten. Und sie war eine begnadete und begeisterte Briefschreiberin, die Anzahl der vorhandenen Ordner aus mehr als 30 Jahren war dementsprechend groß. Zuerst begann ich damit, den Inhalt der Ordner mit der Korrespondenz mit längst ausgeschiedenen und verstorbenen Mitgliedern zu vernichten, entweder durch Verbrennen oder durch Kleinschnipseln in einem Aktenvernichter. Dies erwies sich jedoch als ein zu mühsames Unterfangen, da das Aktenvernichtungsgerät regelmäßig nach ca. einer Viertelstunde streikte, da es heißgelaufen war und das Verbrennen auch nicht gut funktionierte, da das Papier offensichtlich nicht ganz trocken war. Dann kamen aber immer mehr Aktenordner zum Vorschein: unter den Schränken, unter dem Notbett usw. Damit aber endlich mal ein Ende der Ausräumaktion herging, habe ich kurzerhand mit Hilfe meines Mannes diese riesige Anzahl an Ordnern zu uns nach Hause genommen und erst einmal zwischengelagert, bis das aussortiert ist, was vernichtet werden kann und das andere aufgehoben und irgendwo neu gelagert. Da wir selbst keinen großen Lagerraum haben, stehen nun in der Garage, im Keller, auf dem Speicher, im Gartenhäuschen Nothilfe-Akten, die darauf warten, dass sie erst einmal durchgeschaut und dann entweder vernichtet oder in einem trockenen und absperrbaren Raum gelagert werden können. Diesen Raum habe ich letzte Woche zum Glück gefunden, und zwar in Ohlstadt durch einen Tipp von der früheren Bürgermeisterin Bässler, die bei uns in der Straße wohnt. Das große Archiv von Birgitta ging ja, wie wir alle wissen, ins Hamburger Institut, da aber die Nothilfe-Arbeit damit nicht zu Ende war und mit der Zeit stetig mehr Briefe mit der Bitte um verschiedenste Hilfen aus den Gefängnissen kamen, hat sich inzwischen auch sehr viel Ablage angesammelt, die erst noch sortiert und geordnet werden muss und dann auch in diesen neuen Raum transportiert werden kann.

Leider blieb durch diese unglaubliche Räum-Aktion, die mir sehr viel Kraft abverlangte und die ich glaubte, eigentlich nicht fristgerecht schaffen zu können, was mir zum Glück dann mit der Hilfe von Conny, Marita und meines Mannes doch gelang, ein ganzer Berg von eingegangener Post der letzten Monate liegen. Nun mache ich mit der Zuversicht, doch irgendwann einmal wieder einen Überblick über diese noch nicht beantwortete Post zu bekommen, wieder mit der eigentlichen Nothilfearbeit weiter und werde dann auch wieder Gefangene besuchen. Dies war mir in den letzten Monaten beim besten Willen nicht möglich, dazu fehlte einfach die Zeit. Immerhin war ich jedoch einmal in der JVA München-Stadelheim und einmal in der JVA Straubing. Der Gefangene aus Straubing hat mich gebeten, ganz offiziell seine ehrenamtliche Betreuung zu übernehmen. Ich habe zugesagt, das Zulassungsverfahren läuft nun an und ich bin bereit für neue Aufgaben.

Sehr dankbar sind wir unseren langjährigen Mitgliedern und Gönnern, dass sie auch nach dem Ausscheiden von Birgitta aus der aktiven Nothilfe-Tätigkeit treu zu unseren Zielen und Aufgabenstellungen stehen und uns nach wie vor unterstützen. Ein ganz besonderer Dank geht an Frau Bauer, die unerschütterlich zu uns steht und zeitweise unser weiteres Fortbestehen gesichert hat. Sie ist eine so liebe, aufgeschlossene Frau und ihre Zuversicht baut mich bei Enttäuschungen, die nicht ausbleiben, regelmäßig wieder auf. Auch unseren beiden Münchner Freunden Walter und Peter gebührt unser aufrichtiger Dank sowie natürlich Hans und Ulli, Sibylle B. und ihrem Bruder, Dr. Dose, Frau Leone in Belgien und allen, die uns zur Seite stehen und es gut finden, dass wir für gefangene Menschen und Menschen in psychiatrischen Anstalten da sind. Und so lange wir diese Unterstützung erfahren, wird die Arbeit auch weiter gehen. Es gibt so viele, die Beistand brauchen, Zuspruch, Rat, Zuwendung.

An Hans noch ein besonderes Dankeschön für die vorbildliche Pflege unserer Homepage, die er auch gestaltet hat, alles völlig ehrenamtlich.

Ich hoffe, dass wir für die Zukunft neue Mitglieder gewinnen können, damit die Arbeit des Nothilfe-Vereins, den Birgitta vor vierzig Jahren gegründet und dessen großes Jubiläum sie leider nicht mehr erlebt hat, fortgeführt werden kann.

Unsere offizielle Vereinsanschrift lautet nun „Ohlstadt“, da ich ja meine Tätigkeit für den Nothilfe-Verein von mir zu Hause aus erledige und wir nun in Murnau keine Adresse mehr haben. Einen Büroraum anzumieten würde jedoch unsere finanziellen Möglichkeiten übersteigen.“

Die Zahl der Bittsteller reißt nicht ab, das Gegenteil ist der Fall, sie steigert sich kontinuierlich. Außer den vielen Menschen in Gefängnissen und Psychiatrischen Anstalten, die auf Zuwendung, Rat und Hilfe hoffen, da sich Familie und Bekannte abgewandt haben, gibt es nach wie vor etliche Schützlinge, die sich in der Freiheit nicht richtig zurecht finden, jedoch zum Glück auf keinen Fall wieder straffällig werden wollen und Unterstützung erhoffen. So hat es F. nach wie vor zwar noch nicht geschafft, wieder eine dauerhafte Arbeitsstelle zu finden, aber nun ist er endlich den richtigen Schritt gegangen und hat öffentliche Hilfe beantragt. – P. hat sich leider falschen Freunden zugewandt, er war zu sehr allein und ließ sich blenden, aber auch er schaffte es mit unserer – mit Ihrer! – Hilfe, nicht erneut straffällig zu werden. – S. hatte sich so auf die Entlassung ihres Mannes gefreut, aber es kam dann nichts Gutes: Er geht stundenlang in Gastwirtschaften, sie muss zuschauen, wie sie das tägliche Leben der beiden bewältigt. – A. ist alleinstehend mit ihrem Sohn, beide sind psychisch nicht stabil, es ist ein so trauriges Dasein. Es sind weder Großeltern noch Tanten oder Onkel greifbar. Zusätzlich zu dieser großen Belastung kommen die finanziellen Probleme, da A. wegen des Jungen nur in Teilzeit arbeiten kann.

Dies sind nur ein paar Beispiele von vielen Problemfällen und wir sind Ihnen von Herzen dankbar, dass Sie uns dazu verhelfen, anderen helfen zu können.

Wir wünschen Ihnen herzlich ein besinnliches Weihnachtsfest und ein neues Jahr, das Gutes bringen möge.

Ihre

Marianne Kunisch

im Namen des gesamten Vorstandes